Leben wie die alten Grafen
Eine Revolution in der Sitzkultur
Als der renommierte Möbelbauer Robert Adam von dem Grafen Philip Dormer Stanhope mit der Konstruktion eines repräsentativen und stilvollen Sessels betraut wurde, leitet dies eine Revolution in der Sitzkultur Europas ein. Denn vor der Erfindung von Adam war es in herrschaftlichen Kreisen üblich, in einem Chaiselongue Platz zu nehmen und damit eine liegende Sitzhaltung nach dem Vorbild des römischen Tricliniums einzunehmen.
Begehrt in ganz Europa
Robert Adam glückte die Erfindung, die fortan nach der Grafschaft des Auftraggebers als Chesterfield-Sessel zu einem Markenzeichen Englands werden sollte. Der Chesterfield-Sessel fand in den gehobenen Kreisen Englands dankbare Abnehmer und avancierte zu einem Statussymbol in den britischen Herrenhäusern. Von dort aus trat der Ohrensessel seinen Siegeszug auch auf dem europäischen Festland an. Seine Blütezeit in deutschen Landen erfuhr er in der Epoche des Biedermeiers, wo er das Ambiente in den Wohnstuben behaglich bereicherte. Heute gibt es den Ohrensessel in allen möglichen Varianten, so zum Beispiel mit einem Hocker als Accessoire oder als Ohrensessel XXL.
Das Chesterfield-Modell
Das Chesterfielder Modell wies einige Grundzüge auf, die sich erst mit Blick auf die historischen Verhältnisse erschließen lassen. So gab es damals keine Zentralheizung und in den Herrenhäusern herrschte eine kühle Zugluft. Geheizt wurde mit einem Kamin, sodass die Assoziation des Ohrensessels bei einem behaglichen Kaminfeuer eine historische Grundlage besitzt. Der Chesterfield-Sessel wurde deshalb so gestaltet, dass er mit seiner ausladenden Kopffläche und seinen „Ohren“ die durch den Kamin erwärmte Luft gut zu speichern vermag, während er gleichzeitig vor kalter Zugluft schützt. Der damit einhergehende Lärmschutz war raffiniert gestaltet, sodass der Gast in einem Gespräch vor akustischen Einwirkungen nur in drei Richtungen hin geschützt blieb. Dies bot ihm die Möglichkeit, sich bei einem Gespräch voll auf seine Gesprächspartner konzentrieren zu können.
Kennzeichnend für das Chesterfield-Modell sind ferner das robuste und stattliche Erscheinungsbild, der kapitonierte Lederbezug sowie ein standesgemäßer Dekor, der sich neben der Knopfheftung in Ziernägeln und in seinen geschwungenen Formen ausdrückt. Der Sitzende erscheint in dem Ohrensessel mächtiger als er eigentlich ist und genießt in dem weichen Stoff bequemsten Sitzkomfort.
Streit zwischen Klassikern und Neuerern
Im Laufe der Entwicklung haben sich die Bedingungen in den Wohnstuben natürlich geändert, sodass beispielsweise eine Zentralheizung für eine gleichbleibende Wärme sorgt. Aus diesem Grunde hat es im Laufe der letzten Jahrzehnte einige Aufweichungen hinsichtlich der klassischen Linie des Ohrensessels gegeben. Klassiker schwören weiterhin auf die antiquierten Modelle, die bereits ihre Großeltern und ihre Vorgängergenerationen besessen haben. Wie bei Klassikern üblich entbrennt also ein Meinungskampf zwischen Traditionalisten und Modernisten.
Welche Stütze darf es sein?
Jeder Sessel – und damit auch ein Ohrensessel – benötigt einen festen Kontakt zum Untergrund. Dafür stehen Holzfüße, Gleiter, Rollen und Schaukelkufen zur Verfügung. Die Holzfüße sind sichtbar und sind besonders im Skandi-Stil mit seinem Faible für natürliche Materialien besonders ausgeprägt. Wer die Bodenverankerung wiederum nicht sehen möchte, ist mit Gleitern besser bedient. Rollen ermöglichen einen leichteren Transport des Ohrensessels, während Schaukelkufen den Sitzkomfort erhöhen, denn der Sitzende sitzt nun in einem Schaukelstuhl und kann gemütlich hin- und herwiegen.
Der Bezug
Neben dem traditionellen Lederbezug, der die klassische Kapitonierung erst ermöglicht, gibt es mit Kunststoff, Samt und Naturhaar weitere Alternativen für den Bezug. Während mit den alternativen Bezügen die Reinigungsfähigkeit leidet, können diese einen höheren Sitzkomfort ermöglichen und im Winter besser wärmen. Vor allem moderne Lounge-Sessel sind mit moderneren Bezügen ausgestattet, was sich auch auf moderne Ohrensessel bezieht, die sich trotz ihrer jahrhundertealter Geschichte als außerordentlich wandlungsfähig erwiesen haben.
So gibt es bei den Ohrensesseln heute eine breite Stilvielfalt und im Zusammenhang mit ihnen immer wieder aufsehenerregende Innovationen wie der Egg Chair vom dänischen Designer Arne Jacobsen aus dem Jahre 1958. Wie an seinen Modellen deutlich zu erkennen ist, sind die kennzeichnenden „Ohren“ des Sessels geblieben.
Diese Artikel könnten Dich ebenfalls interessieren
» Wohntextilien waschen – mit Mehrwert
» Gut gepolstert wohnen
» Vintage im Wohnzimmer - mit antiken Möbeln zum antiken Look
Bildquelle: pixabay.com / karriezhu